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Öko-Serie – Indigene Initiativen für das Klima 3: Das Piitapan Solarprojekt - eine indigene Umweltinitiative in den Teersanden von Alberta, Kanada, unter der Leitung von Melina Laboucan-Massimo

Autorin: Megane Warren, 31. Juli 2024, Aktualisiert: 6. August 2024, Übersetzung: Barbara Stulz & Anita Weilenmann


Incomindios UK veröffentlicht seit 2024 Artikel über verschiedene lösungsorientierte Klimaschutzorganisationen und hebt die unglaubliche Arbeit hervor, die diese im Kampf gegen unsere dringende globale Klimakrise leisten. Die Incomindios UK "Eco-Series" konzentriert sich auf Organisationen und Initiativen, die sich für Menschenrechte und Umweltgerechtigkeit einsetzen, und beleuchtet erfolgreiche naturbasierte, indigene Wissenslösungen zur Wiederherstellung und Schonung unseres Planeten.


Little Buffalo

Im Norden Albertas, 100 km nördlich des Flusses Peace, lebt die Lubicon Cree Community in einem kleinen Dorf mit weniger als 500 Einwohnern, das Little Buffalo genannt wird. Dieses indigene Dorf hat das Kommen und Gehen von Ölfirmen erlebt, die jeden letzten Tropfen lukrativen Öls gefördert haben, ohne den Bewohnern der Region etwas davon zu überlassen. Die Einheimischen nennen sich selbst "Wirtschaftsgeiseln", da sie kaum andere Jobs finden als die, die die Ölkonzerne anbieten. Sie sind jedoch auch die ersten, die die Auswirkungen und die Toxizität der Ölförderung zu spüren bekommen und "sich mit ökologischem und kulturellem Völkermord [...] Industrielandschaften, trockengelegten und verschmutzten Wassereinzugsgebieten und verseuchter Luft konfrontiert sehen". Darüber hinaus hat die indigene Gemeinschaft die Abholzung des borealen Waldes erlebt, der von seinen Bewohnern als „die nördliche Lunge von Mutter Erde“ bezeichnet wird. Teile des Waldes wurden durch Rodung sowie die Förderung von Öl und Gas zerstört. Die Gemeinschaft der Lubicon Cree hat mit Verzweiflung mitangesehen, wie sich die Landschaft in den letzten 35 Jahren zum Schlechteren verändert hat, besonders weil ihre Kosmologie die Natur und die Umwelt als wesentlich für ein ausgeglichenes Leben betrachtet. Sie verstehen die Erde als ein riesiges Ökosystem, in dem Menschen, Tiere und Pflanzen dazu berufen sind, in Harmonie miteinander zu leben, sich gegenseitig zu geben und zu nehmen.


Quelle: Jiří Rezac, Greenpeace, "Luftaufnahme des Teersandabbaus von Suncor Millennium nördlich von Fort McMurray", weniger als 200 km östlich von Little Buffalo (2021)
Quelle: Jiří Rezac, Greenpeace, "Luftaufnahme des Teersandabbaus von Suncor Millennium nördlich von Fort McMurray", weniger als 200 km östlich von Little Buffalo (2021)

Melina Laboucan-Massimo – ein aussergewöhnlicher Weg

In diesem Umfeld wurde Melina Laboucan-Massimo geboren. Sie nahm an ihrem ersten Streik gegen eine Blockade im Alter von 7 Jahren teil, um "alle Lebewesen zu schützen" und den Bau einer Straße durch das indigene Territorium zu stoppen. Laboucan-Massimo erzählte, dass ihr Vater "bis zu seinem 10. Lebensjahr im Busch aufwuchs", um den Missionsschulen zu entgehen, in die indigene Kinder zwangsweise eingeschrieben und "unaussprechlich schrecklich behandelt" wurden¹. Im Jahr 2009, als Melina an der University of York in Toronto studierte, wurde bei ihrer Mutter Krebs diagnostiziert, nachdem sie ein Jahrzehnt lang in Fort Chipewyan gearbeitet hatte. Trotz der überraschend hohen Krebsrate in Fort Chipewyan hat Albertas Gesundheitsminister behauptet, dass es keine Beweise für einen Zusammenhang mit dem stark verschmutzten Gebiet gibt. Laboucan-Massimo ist vom Gegenteil überzeugt. Zwei Jahre später, im Jahr 2011, ereignete sich nur 30 km entfernt von der Lubicon Cree-Gemeinde Little Buffalo die größte Ölpest in der Geschichte Albertas. Die Dorfbewohner spürten die Auswirkungen dieser Umweltkatastrophe, hatten Atembeschwerden und brennende Augen. Die Schule war am Freitag wegen eines sehr starken Geruchs geschlossen und viele der Schüler klagten über Schwindel und Übelkeit. Am Montag wurde sie jedoch wieder geöffnet, da das Dorf noch nicht über die Ereignisse informiert wurde. Sie wurden erst vier Tage nach dem Geschehen auf die Ölpest aufmerksam gemacht. Diese Ereignisse sensibilisierten Laboucan-Massimo immer mehr für die Dringlichkeit der Situation und veranlassten sie, erneuerbare Energien in die indigenen Gemeinschaften Albertas zu bringen.


Melina Laboucan-Massimo beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Klimagerechtigkeit, indigener Souveränität und Frauenrechten. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin von Sacred Earth Solar sowie Mitbegründerin von Indigenous Climate Change Action. Sie moderierte auch eine TV-Serie mit dem Titel Power of the People, in der erneuerbare Energie-Projekte in indigenen Gemeinschaften vorgestellt wurden. Ausserdem beschäftigt sie sich mit dem Thema "Ermordete und vermisste indigene Frauen", nachdem ihre Schwester Bella unter verdächtigen Umständen ums Leben gekommen ist. Während ihres Masterstudiums in Indigenous Governance an der University of Victoria begann sie sich im Rahmen ihres Abschlussprojekts im Jahr 2015 das Piitapan Solarprojekt auszudenken.

  Quelle: Sacred Earth Solar, "Dieser Unternehmer installiert Solarstromprojekte im Ölland", Melina Laboucan-Massimo auf der Website des Piitapan Solarprojekt (2019)

Quelle: Sacred Earth Solar, "Dieser Unternehmer installiert Solarstromprojekte im Ölland",

Melina Laboucan-Massimo auf der Website des Piitapan Solarprojekt (2019)


Das Piitapan Solarprojekt und der Beginn der ökologischen Wende

Das Piitapan Solarprojekt ist ein Standort mit 80 Solarmodulen, die eine Leistung von 20,8 kW für Gesundheitszentrum von Little Buffalo erzeugen. Es wurde im Herzen des Dorfes neben der Schule platziert, um die nächste Generation in Bezug auf erneuerbare Energien zu schulen. "Piitapan" bedeutet "das Kommen der Morgendämmerung" und ruft zu "einer neuen Morgendämmerung, einer neuen Ära" auf. Die Gemeinde beschreibt dieses Projekt als "eine Ära, in der wir Energie nutzen, die unsere Umwelt nicht zerstört". Laboucan-Massimo sagt auch, dass es das "Blut, der Schweiß und die Tränen der Gemeinschaft" sei. Sie und ihr Partner David Isaac leiteten das Projekt. Für den Bau der Solarmodule stellten sie drei Expert*innen sowie zehn Personen aus ihrer Gemeinde ein – fünf Erwachsene und fünf junge Menschen. Es handelte sich um ein 50.000-Dollar-Projekt, das zum größten Teil von Bullfrog Power und Jane Fonda finanziert wurde, einer Schauspielerin, die Laboucan-Massimo bei einem von Greenpeace veranstalteten Abendessen kennenlernte. Sie hatten keinen Zugang zu staatlichen Geldern, und in Alberta gibt es nur sehr wenige Kredite für erneuerbare Energien, da Öl und Gas in der Region leicht zugänglich sind. Piitapan ist eine der größten Solaranlagen in den Teersanden und wurde von einer kleinen indigenen Gemeinschaft gebaut.


Die Lubicon Cree-Gemeinschaft nutzt das, was die Erde ihnen gegeben hat, nämlich die Sonne, um das zu produzieren, was sie für das Funktionieren des Gesundheitszentrums benötigen. Kaltron Sawan, einer der Arbeiter des Piitapan-Solarprojekts, sagte, dass es "repräsentiert, wer wir sind und wohin wir in Zukunft gehen. […] Wenn man die Arbeit sieht, kann ich sagen, dass ich das gemacht habe, ich habe daran teilgenommen, und ich habe es richtig gemacht." Der Chief der Lubicon Cree-Gemeinde, Billy Joe Laboucan, erklärte: "Indem wir dieses Projekt in Gang brachten, sind wir führend in der Solarenergie, und das ist es, was wir unserer Jugend beibringen. Sie müssen lernen, wie man damit umgeht. Sie müssen lernen, wie sie es pflegen können. Sie wissen bereits, wie man es einrichtet." Er meinte weiter, dass seine Gemeinde nun allen Nachbarn helfen könne, die die gleiche Art von Infrastruktur wünschen. In vielen Zeremonien und Liedern der Lubicon Cree wird die Sonne gepriesen. Dieses Projekt ist das Ergebnis der harten Arbeit einer Gemeinschaft und ihres Glaubens an die Kraft der Natur.


Quelle: Sacred Earth Solar, "Piitapan Solar Project, 2015"
Quelle: Sacred Earth Solar, "Piitapan Solar Project, 2015"

Zukunft und Bestrebungen für eine bessere Zukunft

Aus dem Piitapan Solarprojekt entstand die Organisation Sacred Earth Solar. Ihre Aufgabe ist es, "indigene Gemeinschaften an vorderster Front mit erneuerbarer Energie zu versorgen". Sie wollen auf eine Zukunft hinarbeiten, in der "wir nicht mehr auf fossile Brennstoffe angewiesen sind", "die Treibhausgasemissionen reduzieren" und "die Welt dazu inspirieren, sich unserem Aufruf anzuschließen, einen gesunden Planeten zu schaffen, der alle kommenden Generationen ernährt". Nach dem Piitapan Solarprojekt hat Sacred Earth Solar andere ähnliche Organisationen bei ihrem Übergang zu erneuerbaren Energien unterstützt. Ein bemerkenswertes Beispiel ist das im Jahr 2021 gebaute "Solarizing Nimkii Aazhibikong". Die Organisation dient als "Zentrum für die Wiederbelebung der Sprache, die Weitergabe von Wissen zwischen den Generationen und als Gemeinschaftsraum für Anishinaabek und die umliegenden indigenen Gemeinschaften, um Kunst zu machen und kulturelle Praktiken zu lernen".


Durch eine Frau, Melina Laboucan-Massimo, und die Unterstützung ihrer Gemeinde sowie wohlhabender Spender verändert die Lubicon Cree-Gemeinschaft die Landschaft der Teersande durch eine Solarfarm nach der anderen. Sie haben bereits fünf ähnliche indigene Projekte in der Region unterstützt. Die Lubicon Cree-Gemeinschaft hofft, ihren Kindern Wissen über Solarpanels zu vermitteln und ihnen nahezubringen, dass die Zukunft ihrer Gemeinde in einer harmonischen Beziehung zur Natur liegt – einer Zukunft, in der die Bewohner*innen ihr Land pflegen und die Sonne ihnen in unerschöpflicher Fülle die benötigte Energie schenkt.


¹ Um mehr über die Missionsschulen zu erfahren: Incomindios, "Indian Day-Schools: Kanadas dunkles Kapitel" (2022) unter https://www.incomindios.ch/post/indian-day-schools-kanadas-dunkles-kapitel


Um mehr über das Piitapan Solarprojekt, Melina Laboucan-Massimo oder Sacred Earth Solar zu erfahren:


Bullfrog Power, "Lubicon Lake Band Piitapan Solar Project" (2015) bei https://bullfrogpower.com/projects/lubicon-lake-band-piitapan-solar-project/


Butler, Rhett A., "Melina Laboucan-Massimo: Catalyzing and Indigenous-led Just Energy Transition" (Mongabay, 2021), S . https://news.mongabay.com/2021/03/catalyzing-an-indigenous-led-just-energy-transition-qa-with-melina-laboucan-massimo/


Climate Action Network International, "Piitapan Solar Project: Solar in the heart of the Teersands" auf der https://climatenetwork.org/piitapan-solar-project/


Climate Action Network International, "Sunshine Story Webinar: Indigenous-led energy transition across Turtle Island" (2024) auf https://www.youtube.com/watch?v=n10_t82bnHg


Greenpeace, "Alles, was Sie über die Teersande wissen müssen und wie sie sich auf Sie auswirken" (2021) auf https://www.greenpeace.org/canada/en/story/3138/everything-you-need-to-know-about-the-tar-sands-and-how-they-impact-you/


Webseite von Sacred Earth Solar: https://sacredearth.solar/ 


Stewart, Keith, "The Rainbow Spill: A Case of Crime and (No) Punishment" (Greenpeace, 2018) bei https://www.greenpeace.org/static/planet4-canada-stateless/2018/06/RainbowPipelineSpill.pdf


The Weather Network, "Power to the People: A Path Forward out the Climate Crisis" (2023) bei https://www.theweathernetwork.com/en/news/climate/solutions/power-to-the-people


 
 
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