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Indigene Einflüsse auf Blues & Rock

von Sybille Marseiler (Singer/Songwriter und Lehrerin)

und Fabienne-Alexia Müller (Musikerin & Geografin)

Die Musikerin und Aktivistin Buffy Sainte-Marie 2019. Quelle: Wikimedia

Das Erbe der «Native American Music»

 

«Native American Music» spielte schon immer eine grosse Rolle in der Geschichte und Erziehung der amerikanisch-indigenen Bevölkerung. Wie deren Zeremonien wird die Musik meist mündlich überliefert und ausserdem werden ihr magische und heilsame Kräfte zugeschrieben.

 

Gesang mit pentatonischen Melodien, sich überlagernde Rhythmen verbunden mit einem starken Downbeat sind zentrale Elemente der indigenen Musik. An den Blues erinnernde Rufe markieren Übergänge zwischen verschiedenen Songteilen und ein höheres Timbre (Falsetto), für männliche Sänger ist typisch.

 

Alle diese Elemente finden wir im Blues und Rock wieder. Sie sind wahrnehmbar in den starken Stimmen, der Art Gitarre oder Schlagzeug zu spielen, zu singen oder zu tanzen und im Schaffen namhafter Musiker:innen:

 

  • Charlie Patton hatte afroamerikanische und Choctaw-Wurzeln. Er gilt als «Godfather of Blues”. Mit seinem rauen Gesang und der perkussiven Gitarre beeinflusste er viele spätere Interpreten.

  • Link Wray hatte Shawnee-Wurzeln. Musiker wie Jimmy Page von «Led Zeppelin», MC5 und Iggy Pop beschreiben den legendären Gitarristen und sein berühmtes Stück «Rumble» als Initialfunken, warum sie überhaupt angefangen haben, Rock zu spielen.

  • Mildred Bailey war die erste weibliche Vokalistin in einer Jazzband und die erste Frau mit eigener Band und Radiosendung. Mit ihrem eigenen Stil lang gezogener Noten, der von den indianischen Liedern ihrer Kindheit inspiriert war, war sie das grosse Vorbild für Musiker wie Tony Bennett und Frank Sinatra.

  • Jimi Hendrix hatte Cherokee-Wurzeln. Er war wegen seiner experimentellen und innovativen Spielweise einer der bedeutendsten und einflussreichsten Gitarristen aller Zeiten mit nachhaltiger Wirkung auf die Entwicklung der Rockmusik.

  • Robbie Robertson war halb Mohawk Cayuga aus Kanada und der führende Kopf von «The Band», die mit Bob Dylan Musik-Geschichte schrieb.

  • Randy Castillo mit mexikanisch indigenen Wurzeln war der Schlagzeuger, der am längsten bei Ozzy Osborne spielte. Dieser soll gesagt haben, er wolle nur mexikanische oder indigene Schlagzeuger, weil die dein Beat einfach «drauf hätten».

  • James Browns Vorfahren waren Afroamerikaner und Apachen. Brown hatte eine herausragende Stellung im Rhythm’n’Blues und Soul der 50er und 60er Jahre. Er beeinflusste massgebend die Entstehung des Funk, der seinerseits Musikstile wie Disco, Hip Hop, Rap und House hervorbrachte.

    Seine Musik übte bedeutenden Einfluss auf Michael Jackson und Prince aus. Bob Marley coverte seine Songs in den späten 60er-Jahren und zahlreiche Jazzmusiker nahmen Instrumentalversionen seiner Stücke auf. So bekannte Miles Davis, dass Brown einen prägenden Einfluss auf ihn ausgeübt hätte. Browns Bedeutung für die Entwicklung der afroamerikanischen Musik und insbesondere des Hip-Hop ist kaum zu überschätzen. Das Rolling Stone listete Brown auf Rang sieben der 100 grössten Musiker aller Zeiten.

  • Michael Jacksons Vater hatte Choctaw Wurzeln. Unter seinen Vorfahren sollen indianische Heiler, Schamanen und Tänzer zu finden sein. Jackson prägte die Popmusik grundlegend mit seinem innovativen Sound, als brillanter Songwriter, durch seinen Tanzstil und seine spektakulären Musikvideos.

    Mit über 500 Millionen verkauften Tonträgern zählt er zu den kommerziell erfolgreichsten Musikern aller Zeiten. Laut Guinness-Buch der Rekorde hält er 39 Weltrekorde (u.a. als Künstler, der weltweit die meisten Wohltätigkeitsorganisationen unterstützte). Für sein Engagement wurde er mehrfach ausgezeichnet und sein musikalischer Erfolg brachte ihm den Beinamen „King of Pop“.  

 

Wir könnten noch viele weitere Beispiele anführen wie Tina Turner, die unerreichte Power-Lady und «Queen of Rock’n’Roll», deren Mutter indianische Wurzeln hatte.

 

Oder Beyoncé, deren letzter grosser Erfolg, als erste schwarze Frau die US-amerikanischen Country Charts anzuführen, unter dem Aspekt, dass ihre Mutter auch indigene Wurzeln hat, noch einmal ganz anders einzuordnen ist.

 

All diese Musiker:innen nehmen wir als «schwarz» wahr. Ihre indigenen Wurzeln sind für die Blues- und Rockgeschichte aber genauso tragend. Diese zu zeigen, zu deklarieren und zu leben, war lange, und ist teilweise bis heute, lebensgefährlich oder schädlich.

 

Indigene zelebrieren ihre Musik im Machicooco State Park (US Virginia). Quelle: Wikimedia Commons

Lange Haare und Fransenjacken

 

Das Leid der schwarzen Bevölkerung, die ihrer Heimat entwurzelt und in Amerika versklavt, misshandelt und unterdrückt wurde, wirft bis heute seine dunklen Schatten auf die Entstehungsgeschichte des «modernen» Kontinentes.

 

Nicht minder war das Leid der indigenen Bevölkerung, die Amerika über Jahrtausende bewohnt hatte, bevor europäische Schiffe ihre Küsten erreichten. Während die Schwarzen in Amerika als Arbeitskraft ausgebeutet wurden, ging es bei der indigenen Bevölkerung um deren Landbesitz, Landrechte und Ressourcen.

 

Diese politische und wirtschaftsrechtliche Komponente trägt bis heute zu jener Tabuisierung bei, die eine gründliche Aufarbeitung der amerikanischen Geschichte verhindert. Denn zu gross wären die Konsequenzen für jene Konzerne, die längst ihre Hauptsitze und Produktionsstätten auf dereinst indigenen Ländereien errichtet haben. 

 

Obwohl 1865 die Sklaverei abgeschafft wurde (während noch im gleichen Jahr der Ku-Klux-Klan entstand) wurde im Kontrast dazu ab 1880 die traditionelle Lebensweise der Indigenen weiter unterbunden. Das Verbot der eigenen Sprache und Gebräuche wurde verschärft, Sänger oder Tänzer eingesperrt und indigenen Männern das Tragen langer Haare verboten.

 

Interessanterweise gehörten später im Rock’n’Roll der 60er lange Haare ja quasi zum guten Ton eines echten Rockmusikers. In den 70ern bezog sich die Hippiebewegung dann stark auf die indigenen Völker, stellte erstmals deren Einfluss auf die westliche Kultur in den Fokus und zelebrierte sie.

 

Nicht nur in den langen Haaren ist der Ursprung der Rockmusik in der indigenen Bevölkerung Amerikas sichtbar erhalten geblieben. Auch die Mode weist darauf hin. So sind heute Fransenjacken und Stirnband für eine Rocker:innen-Kluft selbstverständlich. 

 

Während Schwarze im Jahr 1866 mit dem 14. Verfassungszusatz erstmals in der Geschichte zu amerikanischen Staatsbürgern werden konnten, erhielten Indigene erst 1924 das Recht auf US-Staatsbürgerschaft. Und erst 1934 erhielten sie im «Indian Reorganisation Act» das Recht auf Ausübung ihrer Kultur und Musik!

 

Von links:

  1. Renata Flores rappt auf «Quechua».

  2. Jimi Hendrix 1970 performt mit Stirnband und indigen inspirierter Kleidung. 

  3. Die «Mardi Gras Indians» in New Orleans zeugen noch heute von der Verschmelzung der indigenen und afroamerikanischen Kultur.

    Quelle: Wikimedia Commons


Verschmelzung und Auslöschung

 

Zwischen afroamerikanischen und indigenen Bevölkerungsgruppen entstanden komplexe Beziehungen. Insgesamt wurde die indigene Bevölkerung Amerikas noch schlechter behandelt als die afroamerikanische. Deshalb suchten indigene Flüchtlinge in afroamerikanischen Stadtvierteln Schutz und es kam zu vielen Mischehen.

 

Von der daraus entstandenen kulturellen Verschmelzung zeugen noch heute die sog. «Mardi Gras Indians» (auch bekannt als «Black Indians») in New Orleans. Ihre Federschmuck-Kostüme sind von der indigenen Kultur inspiriert und die Musik vermischt afroamerikanische und indigene Rhythmen, beeinflusst von afrikanischen Trommeltraditionen, Blues und Jazz.


Die amerikanische Regierung v.a. im Süden der USA sah diese Verbindungen als Bedrohung. Deshalb wurde den Nachkommen von befreiten Sklaven und Indigenen die indigene Identität aberkannt, d.h. sie wurden nur dann als US-Staatsbürger anerkannt, wenn sie sich als rein „schwarz“ deklarierten. Damit wurden ihnen die Rechte auf Landbesitz entzogen sowie jene auf Steuerbefreiungen, die für Menschen der amerikanischen Urbevölkerung galten.  

 

Die indigene Identität wurde von den weissen Kolonialmächten aus politischem Kalkül ausgelöscht - genau wie die indigene Urbevölkerung. Um 1500 gehörte den Navajos, Apachen, Sioux, Shoshonen, Hopis und vielen anderen Völkern fast ganz Nordamerika. Heute leben dort noch rund 6.8 Millionen Indigene. Dies entspricht gerade mal ca. 2% der heutigen US-Bevölkerung. Wir können deshalb zurecht von einem Völkermord reden.

 

Kraft und Perspektiven

 

Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass wir afroamerikanische Musiker:innen und ihre Verdienste wahrnehmen, aber uns ihre indigenen Wurzeln oft unbekannt sind.

 

Deshalb setzen sich zahlreiche Künstler:innen dafür ein, die indigenen Ursprünge unseres etablierten Soundgeschmacks aufzudecken. Sie lassen ihren indigenen Hintergrund in ihre Musik einfliessen, verbinden Tradition und Moderne und setzen neue innovative Impulse.

 

So z.B. Renata Flores, eine Ayacuchana aus Peru, die auf «Quechua» rappt und Michael Jackson Songs (!) covered. Oder die Songwriterin und Musikproduzentin Samantha Crain, die auf «Choctaw» singt und mit dem «Indigenous Music Award» ausgezeichnet wurde. Und natürlich Buffy Sainte-Marie, die mit ihren Songs seit den 60er Jahren für die Rechte der indigenen Bevölkerung kämpft.

 

An dieser Stelle ist ebenfalls der kraftvolle Dokumentarfilm «Rumble – The Indians Who Rocked the World» zu nennen, der 2017 für Furore sorgte und zahlreiche Preise gewann. Der Film enthüllt die unerzählte Geschichte des Einflusses der amerikanischen Ureinwohner auf die Popmusik und lässt dabei prominente Musikschaffende wie Quincy Jones, Steven Tyler oder Iggy Pop zu Wort kommen.

 

Die Würdigung einer unerzählten Geschichte

 

Bis wir den immensen Einfluss der indigenen Musik auf unsere moderne Musik sehen, verstehen und richtig wertschätzen können, gibt es noch viel zu tun. Noch heute wird der Beitrag der amerikanisch-indigenen Bevölkerung in der modernen Musikgeschichte weitgehend ignoriert.

 

Der Zusammenhang, dass sich die dereinst nach Amerika exportierte «weisse» und «schwarze» Musikkultur mit jener vermischt haben muss, die bereits auf dem amerikanischen Kontinent existierte, liegt zwar klar auf der Hand. Doch bis heute werden an Musikhochschulen allein die (herausragenden) Errungenschaften der afroamerikanischen Musik und deren Verschmelzung mit der europäischen Musikkultur unterrichtet.

 

Als Musikliebende und -konsumierende, als Musikschaffende und -studierende können wir uns jedoch bemühen, die indigenen Wurzeln in der heutigen Pop- und Rockmusik zu erkennen. Wir können Fragen stellen, forschen und vor allem hinhören – so dass dereinst die populäre Musikgeschichte den grossartigen Beitrag der amerikanisch-indigenen Bevölkerung anerkennt und würdigt.


Der Beitrag der «Indian Native Music” an die moderne Musikgeschichte verdient Würdigung. Quelle: Wikimedia Commons

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